7. August 2006

[Blog] Ungefragt an die Öffentlichkeit gezerrt (II)

Zur Abwechslung mal eine Art GaStkommentar. Wäre schön, wenn sie auch bloggen würde - bei solchen Texten eine absolute Bereicherung für die Bamberger Blog-O-Sphäre :-)

Ich und mein Akzent

Solange ich noch in Kasachstan lebte, wusste ich nicht, dass ich einen Akzent habe. Niemand sagte mir im russischen Deutschunterricht: "Stop, das spricht man anders aus!" Die Lehrerin war schon froh, wenn wir überhaupt die Wörter kannten. Ich hatte stets die besten Zensuren der Klasse.


Als meine Familie nach Deutschland übersiedeln wollte, engagierten wir eine Nachhilfelehrerin. In weiser Voraussicht dachte sich meine Mutter: "Der Schulunterricht wird bestimmt nicht reichen, um Deutsch fließend sprechen zu können." Die Nachhilfelehrerin kannte alle deutschen Wörter und hatte einen so
starken Akzent, dass es sogar mir auffiel. Ein Nachhilfejahr später fuhren wir nach Deutschland. Erst dann stellte sich heraus: ich verstand und sprach kein Wort.

Nicht, dass ich nichts gelernt hätte. Aber offensichtlich lernte ich etwas völlig anderes, als das, was man zum täglichen Sprechen brauchte. Präpositionsobjekte. Raumergänzungen. Konjunktionalgruppen. Noch immer gibt es in Kasachstan optimistische Lehrbücher für den Selbstunterricht, in denen der Satz "Ich hätte gern zwei Brötchen“ überhaupt nicht vorkommt. Stattdessen jedoch lauter Sätze wie "In kameradschaftlicher Treue grüßen wir unsere Genossen aus sozialistischen Ländern!" Es dauerte mehrere Monate, bis ich einigermaßen die deutsche Sprache zu verstehen und zu sprechen begann. Und damit kam er. Mein Akzent.

Anfangs hoffte ich, er würde wieder gehen. Ich träumte von früheren kasachischen Zeiten, in denen ich nicht auffiel. In denen mich niemand fragte: "Wie lange bist du schon hier?" und, wenn ich "Acht Jahre" antwortete, überrascht fallen ließ: "Ach, doch schon so lange?! ..." Denn meine Aussprache klang eher nach acht Monaten. Die Meisten der Russlandsdeutschen meiner Generation hatten ihren Akzent längst abgelegt. Nur bei mir blieb er hartnäckig haften, ähnlich einem verstaubten Relikt sowjetischer Ära.

Heute, nach vierzehn Jahren deutscher Staatsangehörigkeit, sagen immer noch Kommilitonen zu mir: "Du machst doch sicher Erasmus! Wie lange bleibst du noch da?" Sie wiederholen ihre Sätze langsamer, erklären mir deren Inhalt mehrmals und lassen die Fremdwörter weg. Bei Referaten bekomme ich öfter den einfacheren Part zugeschoben, bei dem ich nicht viel reden muss. Sogar nach der mündlichen Abiturprüfung für Englisch sagte mir die Prüferin kopfschüttelnd: "Sie haben aber einen starken russischen Akzent im Englischen!" Das bedeutete Punktabzug. Für den ich nichts konnte. Denn nicht einmal rhetorische Sprechübungen halfen bei einem so hartnäckigen Phänomen wie meinem Akzent.

Mittlerweile scheue ich mich ein wenig, Englisch zu sprechen. Wenn ein gebürtig deutscher Gesprächspartner mich auf Anhieb nicht versteht, ärgert es mich. Ebenfalls scheue ich es, in die Gegenden zu fahren, die durch starke Fremdenfeindlichkeit geprägt sind. Keiner hört mir an, dass ich ein Nachkomme etlicher, ethnisch ausschließlich deutscher, Generationen bin. Die russische Sprachprägung bleibt. Mein Akzent und ich, wir fallen auf.

Aber nicht einmal mehr Russisch gelingt es mir seit Neuestem akzentfrei zu sprechen. Als meine Großtante dreizehn Jahre nach unserem Umzug ebenfalls nach Deutschland kam, sagte sie zu mir: "Du hast irgendwie einen armenischen Akzent gekriegt. Na prima. Später auf meinem Grabstein wird sicherlich stehen: "Sie sprach. Trotz ihrem Akzent!"



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