21. Mai 2008

[TV&Co] Hamlet

Die geneigte Leserschaft kennt meinen Hang zum Filmkritirezensieren, an dieser Stelle nun ein Versuch, über ein Theaterstück eine Meinung zu formulieren.

Vorneweg, es geht um nichts geringeres als Shakespeares Hamlet, vermutlich eines der wichtigsten und komplexesten Stücke, die das Abendland hervorbrachte. Für einen etwas tiefgründigeren Einstieg sei deshalb auch auf die englische Wiki verwiesen, die sehr viel umfangreicher auf das Drama und seine Theatergeschichte eingeht.

Die Geschichte
Die Handlung dürfte bekannt sein, um aber näher auf die Inszenierung eingehen zu können, hier noch mal ein kurzer Abriß: Hamlets Vater wird von Claudius, dem Bruder Königs und Hamlets Onkel demzufolge, heimtückisch getötet. Claudius heiratet Hamlets Mutter und bestätigt Hamlets Anwärterschaft auf die Thronfolge. Hamlet kann die Hochzeit (immerhin einen Monat nach dem Tod des Vaters) seiner Mutter nicht verzeihen und zieht sich vom Hofleben zurück.
Um Mitternacht erscheint Hamlet der Geist seines Vater, der ihm den Mord enthüllt und zur Rache auffordert. Hamlet ist hin- und hergerissen, weiß nicht, ob es nur ein Einbildung ist oder Realität ist, und beschließt, nach außen hin den Wahnsinnigen zu geben.
Dieser Wahnsinn kommt für den Hofstaat etwas unvermittelt, wird aber der Zurückweisung durch Ophelia, um die sich Hamlet vor dem Tod des Vaters bemühte zugeschrieben.
Als eine Theatergruppe den Hof erreicht, inszeniert Hamlet mit ihrer Hilfe den Königsmord, um aus der Reaktion Claudius' Gewissheit zu erlangen, ob die Gespenstererscheinung die Wahrheit gesprochen hat. Der Plan gelingt, doch Hamlet verzweifelt an der Bürde nach wie vor.
Durch eine Verwechslung tötet Hamlet Ophelias Vater, Polonius, und wird nach England geschickt. Dort soll er von gedungenen Mördern, die Claudius angeheuert hat, eigentlich beseitigt werden, doch gelingt ihm eine unbeschadete Rückkehr nach Dänemark. Ophelia stirbt - inzwischen durch den Tod des Vaters geistig verwirrt. Ehe Hamlet Claudius jedoch stellen kann, fordert Laertes, Sohn des Polonius und Bruder von Ophelia, den ehemaligen Jugendfreund zum Duell - eine Intrige seitens Claudius, der Laertes den wahren Mörder seines Vaters enthüllt.
Das Duell endet für alle Beteiligten inklusive Claudius und Hamlets Mutter tödlich, sodass das Königshaus Dänemarks mit einem Streich ausgelöscht wird.

Die Inszenierung
Da das Theater Erlangen nur über ein recht kleines Ensemble verfügt, das Stück jedoch über viele Sprechrollen verfügt, musste die Inszenierung einige Lösungen finden. Unglaublich gut gelöst wurde dabei die Aufführung der Schauspieltruppe, die Claudius überführen sollte. Die Mitgliederwurden gleichzeitig durch die "echten" Charaktere gespielt - die Aufführung selbst dann wurde ins Publikum gelegt, sodass man die Reaktion des Claudius und Hofstaates nur sah ohne die eigentlich Aufführung.
Das Bühnenbild war komplett in weiß gehalten, die Figuren trugen schwarze Kostüme, was zu einem scherenschnitthaften, sehr grafisch orientierten Bild führte. Die alles beherrschende Treppe wird zum integralen Bestandteil des Spiels.

Die Frage, wie man Hamlet heutzutage spielen kann, wurde auf recht eigenwillige, satirische Art und Weise beantwortet: In bester Terry Pratchett-Manier. Der Ernst der Tragödie bietet Verlockung, ständig und dauernd parodistische Einlagen einzustreuen. Zu verführerisch ist es scheinbar, das Drama zu durchbrechen und Monkey Island-esque die Handlung aufzulockern. Irgendwie hat man das Gefühl, man sieht eine Aufführung, in der sarkastische Kommentare der Generation X (eigentlich Generation Golf, dazu später mehr) eingearbeitet wurden, die über das Stück lästern. Das Problem daran ist jedoch dreierlei:
Zum einen durchbricht man die Erwartungshaltung des Zuschauers, zum zweiten nimmt man ihm die Möglichkeit, dem Stück selbst mit Sarkasmus zu begegnen und drittens zertrümmert man die Katharsis. Und das zugegebenrmaßen recht unterhaltsam.
Man bekommt also weniger eine klassische Tragödie serviert, sondern eine Art "Scary Hamlet", bei dem v.a. der Kunstbetrieb - von Aktions-"Kunst!" bis zu Sido - sein Fett abkriegt.

Nach dem Stück gab es noch die Gelegenheit mit dem Regisseur und dem Dramaturgen in kleiner Runde über das Stück zu sprechen. Dabei kam heraus, dass der Einbau der Komik zum großen Teil nicht von vornherein beabsichtigt war, sondern sich im Laufe der Proben ergab - für mich gleichzeitig eine interessante Erkenntnis, dass Theater bei weitem nicht so streng und monolithisch ist, sondern ein sehr kreativer und schneller Prozess.
Des weiteren wurde versucht, auf den Generationenkonflikt einzugehen, Hamlet als eine Art Kommentar/Reaktion zur Generation Golf auf die Väter der 68er Revolution ... ich persönlich konnte das aus dem Stück nicht herauslesen, gleichwohl schien es dem Dramaturgen sehr wichtig gewesen zu sein. Zum dritten nahm man sich Hamlet als ein "Stück Theater über Theater" als Thema an, etwas, das dann in den parodistischen Einlagen (s.o.) immer wieder aufkam.

Fazit
Alles in allem war der Theaterabend kurzweilig und sehr unterhaltsam. Bei mir wurde aber auch das Verlangen geweckt, eine klassische Inszenierung zu sehen, die weit über das hinausgeht, was diese Inszenierung leisten konnte/wollte - denn trotz aller übergelagerter Komik entwickelt das Stück eine unglaubliche Kraft und Präsenz, bei er sich lohnt, sich intensiver damit zu beschäftigen, geht es doch um zentrale Fragen, die ein Individuum umtreiben: Um Schuld und Sühne, Rache und Vergebung, Wahnsinn und Logik, Sein oder Nichtsein.