23. Juni 2008

[TV&Co] Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui

Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.

Auf dem Spielplan des Staatstheaters Nürnberg steht im Sommer 2008 das Brecht-Stück "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui" - Grund genug, sich das Spiel einmal anzusehen.

Inhaltlich ist "Arturo Ui" eine Parabel auf den Aufstiegs Hitlers, episch verfremdet ins Milieu der Gangsterzeit der Prohibition der 20er Jahre in Chicago. Bemerkenswert an dem Stück ist, dass es 1941(!) im finnischen Exil geschrieben wurde und dass Brecht erst beim Schreiben die Ähnlichkeit der Gangstermethoden Al Capones und dem brutalen Vorgehen Hitlers und seiner Schergen auffiel. Dennoch wird Hitler als Witzfigur der Lächerlichkeit preisgegeben - die Frage ob dies zulässig ist, füllt viele Meter der Literaturwissenschaft und wird vermutlich niemals endgültig gelöst werden.

Interessant ist das Spiel von Verführung und verführt werden, soll der Zuschauer - gemäß Theorie des epischen Theaters - eine kritische, reflektierte Distanz wahren, andererseits die Zusammenhänge des großen Ver-Führers nachempfinden können. Ich persönlich denke, dass hierbei der große Reiz des Stückes liegt, diesen Spagat zu schaffen.

Die Inszenierung in Nürnberg nun macht Ui/Hitler zu Beginn vor allem eines: Lächerlich - vom eigenen Versagen gepeinigt, von den eigenen Anhängern bedroht und vom finanziellen Ruin gefährdet. Das Problem daran ist jedoch, dass die Darstellung des Hitlers sehr stark an die Figur des Goethes Mephisto angelegt ist. Getrieben durch die Umstände entwickelt die Figur eine Willensstärke, der die anderen Figuren nichts entgegenzusetzen haben. Hitler als klassisches Universalgenie?! Das erscheint mir mehr als fragwürdig.

Beginnt das Stück noch als launige Gangstergeschichte, kommt irgendwann nach der Pause der Bruch. Sowohl inhaltlich als auch inszenatorisch tritt immer stärker der Nazi-Bezug hervor und gipfelt im Auftritt der Schauspieler in scharzen Nazi-Uniformen und Ui in der entsprechenden hellbraunen "Führerkluft" - unweigerlich werden Assoziation zu Chaplins "Großer Dikatator" wach in diesem Moment.

Hier ist auch mein größter Kritikpunkt: Ich kann mir nicht vorstellen, dass Brecht das Ende des Stücks als (wortwörtlich!) todernsten Auftritt geplant hatte. Auch gibt die Inszenierung keinen Aufschluß darüber (evtl. wurde zu viel gekürzt?), warum plötzlich alle diese Veränderung durchmachen. Bei Ui mag man das noch einigermaßen aufgrund der historischen Kenntnisse des Publikums nachvollziehen können, aber warum die Figur des Givola/Goebbels in einem Moment noch den Al Capone-Killer gibt, der sich über sein Opfer amüsiert und im nächsten Moment seine Maske fallen lässt, bleibt unerklärlich. Die Satire wird nicht aufrecht erhalten, die Allegorie durchbrochen. Zum Schluß steht Hitler und nicht Ui auf der Bühne.

Das mag zwar durchaus clever sein, dem Publikum aufzuzeigen, dass der Clown seine Maske fallen lässt. Aber damit wird den Zuschauern auch die kritische Reflexion abgenommen, die Moral wird vorgekaut, man muss sie nur noch schlucken, was bleibt ist die Katharsis. Natürlich könnte man behaupten, man möchte genau aufzeigen mit dieser Inszenierung, wie groß der Schock war, als das Ausmaß Hitlers plötzlich ins Bewußtsein drängt. Aber ich kann mir wirklich nicht beim besten Willen vorstellen, dass Brecht das in seinem Stück so angelegt hat, dafür war es ihm viel zu wichtig, Hitler lächerlich zu machen, dafür war die Inszenierung auch viel zu sehr auf Slapstick ausgelegt lange Zeit. Daneben wird für meinen Geschmack auch die Leni Riefenstahl-Optik zu sehr gemolken.

Was bleibt also? Zunächst einmal das phantastische Bühnenbild, bestehend aus Holzboxen und Containern, die je nach Szenerie umgeschoben und sogar geöffnet werden konnten. Das Licht und die musikalische Untermalung war perfekt abgestimmt. Gefallen hat mir die Darstellung der Figur des Roma und Givola. Der Höhepunkt war sicherlich die Gerichtsverhandlung, bei der die Schauspieler ihr komödiantisches Talent beweisen durften. Besonders gut hat mir die Figur der Betty Dullfeet gefallen, deren Rolle mir zuvor im historischen Kontext zwar klar war, deren Impakt auf der Bühne jedoch noch sehr viel härter und brutaler ist, als ich mir das zuvor vorstellen konnte.
Überschattet wird das freilich von der etwas seltsam gespielten Figur des Ui, dem harten Ende, das zu wenig Interpretationsfreiraum lässt und zu sehr die Nazi-Karte ausspielt.

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